Abstract:
Satzadverbien bilden im Deutschen eine der uneinheitlichsten und umstrittensten Adverbienarten. In den letzten Jahrzehnten wurden sie aus verschiedenen Perspektiven untersucht, doch ihre Entstehung blieb bisher weitgehend unerforscht. Vernachlässigt wurden insbesondere evaluierende Satzadverbien. Ziel dieser Arbeit ist es daher, anhand empirischer Daten die diachrone, semantische Entwicklung von leider als evaluierendem Satzadverb zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurden die historischen Referenzkorpora des Deutschen über das Korpus-Suchtool ANNIS abgefragt und die Belege von leider als Adverb im Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutschen wurden nach semantischen, syntaktischen und textuellen Kriterien analysiert; die gesammelten Daten wurden abschließend im Rahmen des Bedeutungswandels, der Grammatikalisierungstheorie und der verwandten semantisch-pragmatischen Tendenzen diskutiert (vgl. Traugott 1989, Hopper & Traugott 2003). Es konnte gezeigt werden, dass leider (ahd. lėidōr; ursprünglich Komparativ zum Adverb ahd. lėido) das Ergebnis einer Reihe von semantischen und pragmatischen Wandelprozessen ist: Ausgehend von einer Semantik des Schmerzes und der Klage innerhalb von Kontexten, in denen der Sprecher vor allem als handelndes bzw. leidendes Satzsubjekt eintritt, hat sich leider als Ausdruck des Bedauerns entwickelt; es hat ferner eine subjektive, evaluierende Bedeutung angenommen und sein Gebrauch hat sich auf neue sprachliche Kontexte ausgedehnt.