Abstract:
Die Epoche zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert war von mehreren bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckungen und Entwicklungen gekennzeichnet, insbesondere auf dem Feld der Medizin. Es war nicht seltsam, dass ein Schriftsteller auch einen wissenschaftlichen Beruf trieb, und das ist der Fall der sogenannten ‚Dichterärzte‘, unter denen wir Gottfried Benn aufzählen können. In seinem autobiographischen Werk Doppelleben. Zwei Selbstdarstellungen (1950) drückt Gottfried Benn das Gefühl aus, ein ‚Doppelleben‘ zu führen: Ein Leben als Arzt und deswegen als grundlegender Teil der bürgerlichen Gesellschaft der Zeit und ein Leben als Lyriker/Schriftsteller in einer Epoche, in der diese Rolle normalerweise mit einer radikalen antibürgerlichen Stellung verbunden wird.
Ziel dieser Arbeit ist es, nach einer Einführung über die bedeutendsten medizinischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und durch die Analyse von einigen frühen medizinischen Schriften Benns, seinen Hintergrund als Arzt besser zu verstehen. Die Gedichtsammlung Morgue, die Szene Ithaka und die Novellenzyklus Gehirne, die von verschiedenen Arten von medizinischen Motiven gekennzeichnet sind, werden danach untersucht, um den Einfluss von den wissenschaftlichen und insbesondere medizinischen Erfahrungen des Autors zu definieren. Außerdem, wird die Darstellung der Figur des Arztes in Benns literarischem Alter-Ego Werff Rönne analysiert, mit einer besonderen Aufmerksamkeit auf die Psyche des Protagonisten und die Idee einer grundlegenden Zweideutigkeit von Benns Stellung gegenüber der Macht der Wissenschaft in der modernen Gesellschaft.