Abstract:
Während des ersten Weltkonflikts, der insbesondere von politischer Perspektive aus die bis dahin festgelegte europäische Ordnung tiefgründig schüttelt und radikal zu Ende bringt, entwickelt sich eine rege Debatte, die über rein wirtschaftliche, politische und militärische Argumentationen weit hinausgeht und kulturelle, geschichtliche und philosophische Schwerpunkte mit thematisiert. In die Literaturgeschichte ist diese symptomatische Erscheinung unter dem Begriff ‚Kulturkrieg‘ übereinstimmend eingegangen. Sozial-historische Wenden, politische Diskussionen, sowie Infragestellungen über Geschichte, Kulturerbe und um sich greifende Nationalismen stacheln bei deutschsprachigen Intellektuellen nicht zuletzt Reflexionen an, die die deutsche Identität, deren nicht wenig problematische kulturelle Wurzeln und politische Formen in Mittelpunkt rücken. Somit entsteht ein breitgefächertes Korpus sogenannter kulturkritischer Schriften, das sich an dem Reflexionsmodus anschließt, das einen reichen Fundus von ab der Aufklärungszeit geschriebenen Texten kennzeichnet. Da die historische Tragweite des Krieges nicht übersehen werden kann, kommen zeitgenössische Dichter und Denker nicht umhin, in ihren entsprechenden Bereichen das epochale Phänomen näher zu betrachten und mehr oder minder öffentlich dazu Stellung zu nehmen.
In diesen heiklen umreißbaren Kontext schaltet sich gleichfalls das mittlere und spätere essayistische und publizistische Werk des Jung-Wiener Dichters Hugo von Hofmannsthal ein. Wenn dennoch einerseits Geschichtskonzepte, kulturkritische Positionen, sowie Zukunftsvisionen anhand von Reden, Aufsätzen, Abhandlungen und privatem Schreiben hinlänglich erhellend und prägnant ans Licht kommen (wobei doch ihre Vielschichtigkeit und Komplexität nicht eindeutig auszumachen ist), bleibt die Frage offen, wie sich andererseits die kulturkritische Haltung innerhalb fiktiver, ausgesprochen literarischer Texte perspektiviert. Vorliegende Arbeit geht von der Annahme aus, ebenfalls das literarische Werk mag in seinem feinverflochtenen Gewebe zwar subtile, doch frappierende Spuren kulturkritischer Nuancen aufweisen und womöglich als Pendant zu theoretischen Schriften erachtet werden. Unter erforderlicher Berücksichtigung von Hofmannsthals Turm-Dramenkomplex der zwanziger Jahre, in welchem ein Diskurs über Souveränität, Machtverhältnisse und die Verquickung von Lebendigem und Politischem verdichtet wird, setzt sich die Masterarbeit zum Ziel, die bemerkenswerte kulturkritische Auffassung des Dichters an den Tag zu legen und dessen sich daraus entwickelte innovative Europakonzeption zu entschlüsseln. Im Fokus steht vorrangig Hofmannsthals allegorische Verdichtung seiner Wirklichkeit, die aufgrund eines topographischen Umrisses von Orten und Figuren zur Geltung kommt.